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"Widerstand und Widerspruch"

Grafikdesignerin, Fotografin, Künstlerin, Philosophie- und Informatikstudentin. Asrin Askendery hat immer Wege gesucht sich künstlerisch auszudrücken – ob in Kurdistan, dem Irak, dem Iran oder Deutschland. Ein Gespräch über ihre Geschichte, ihre Bilder und warum es gut war, dass Eva den Apfel gegessen hat.

"Ein Moment des Nachdenkens"

Es fällt Dir bestimmt nicht leicht, das auf die Schnelle zu erzählen, aber ich würde Dich gerne nach deiner Geschichte fragen.

Ich komme aus Kurdistan. Also dem kurdischen Teil des Iran. Ich habe einen gefährlichen Weg hinter mir. Ich habe fünf Jahre im irakischen Teil Kurdistans gelebt und dort als Grafikdesignerin und Künstlerin gearbeitet. Grafikdesign hatte ich zuvor im Selbststudium gelernt. Seit 2008 fotografiere ich und hatte seitdem zahlreiche Ausstellungen in Kurdistan und Deutschland. Aber in meiner Heimat Iran konnte ich bislang weder ausstellen noch Fotos veröffentlichen.


Bei Deinem Bild mit dem Titel „25. November“ geht es um Dein Ankommen in Deutschland. Welche Bedeutung hat dieses Bild für Dich?

Ich war einen Monat lang unterwegs und habe viele Dinge gesehen und erlebt. Ich war nicht allein, mein Sohn und mein Bruder waren mit dabei. Als wir in Deutschland angekommen sind, war das einfach ein großes Glück für uns. Wir haben uns wie neugeboren gefühlt. Deswegen ist der 25. November nicht nur für mich ein wichtiger Tag und ich konnte und wollte diesen Tag nicht vergessen. Darum habe ich das Bild gemacht und es „25. November“ genannt. Das betrifft uns alle als Flüchtlinge, nicht nur mich persönlich. Es betrifft alle Menschen, die schon oder die noch nicht angekommen sind.

"25. November"

Viele Künstlerinnen und Künstler verlassen Länder wie beispielsweise den Iran, weil sie in der Ausübung ihrer Kunst nicht frei sind. War das auch für Dich der Grund den Iran zu verlassen?

Der Iran ist meiner Meinung nach ein großes Gefängnis. Denken kann dort tödlich sein. Ich war 19 oder 20 Jahre alt. Mein Mann, der Schriftsteller ist, war 29, und wir wurden dort einfach unterdrückt. Mein Mann saß vorher im Gefängnis, zum Tode verurteilt. Unsere Telefonate wurden kontrolliert. Wir konnten nichts machen, alles war gefährlich. Über uns haben sie gesagt, wir wären gefährlicher für sie als Menschen mit Waffen – weil wir denken! Deswegen konnten wir uns nicht als freie Menschen, Künstler oder Schriftsteller ausdrücken. Wir wollten das Land nicht verlassen, aber wir mussten. Wir konnten keinen Abschied nehmen und wussten nicht, was auf uns zukommt. Das alles war für uns ein großes Risiko. Aber wir sind trotzdem losgegangen und haben es alle geschafft.


Ist Deine Serie „Ein Moment des Nachdenkens“ eine Verarbeitung der Erlebnisse von dort, von unterwegs und von hier?

Fotografie bedeutet für mich nicht Momente zu jagen, sondern meine Gedanken, meine Gefühle, das, was uns im tiefsten Innern beschäftigt, auf Fotos zu zeigen. In dieser Serie geht es einerseits um meine persönlichen Erfahrungen als Frau – ich sage persönlich, aber es ist eine kollektive Erfahrung vieler Frauen. Ich versuche mit meinen Bildern die politischen und persönlichen Umstände zu zeigen, in denen Frauen in diesem Gebiet leben. Ich wollte zwei Welten zeigen: eine sehr konservative und eine sehr moderne. In diesen unterschiedlichen Welten haben Frauen unterschiedliche Formen, Figuren und Charaktere. Im Konservativen ist die Frau als Puppe dargestellt, sie hat sich noch nicht selbst gefunden. Sie ist ein Gegenstand, der dem Mann gehört. Auf der anderen Seite gibt es Frauen, die versuchen sich zu befreien, aber vielen Hindernissen begegnen. Es kommt ein Moment, an dem man darüber nachdenken muss, was man eigentlich will. Entweder als Gegenstand ohne Gefühle zu leben oder sich selbst zu vertrauen und zu versuchen etwas zu verändern. Aber was? Ein Mittel ist Widerstand und Widerspruch. In der Serie habe ich zum Beispiel Äpfel als Symbol für das Denken genutzt. In der Geschichte von Eva ist das Apfelessen ein großes Tabu – ich sage: Eva hat nachgedacht und „Nein“ zu Gott gesagt. Und das ist der Anfang der Menschheit: Nachdenken und widersprechen. Das ist ein großer Schritt, dadurch fühlt man sich frei.

"Ein Moment des Nachdenkens"

Es gibt eine Serie von Dir mit dem Titel „Im Rachen der Zeit“. Kannst Du uns etwas zu ihr sagen?

Raum und Zeit sind wichtige Themen für mich. Bei „Im Rachen der Zeit“ geht es um Momente; Momente des Kampfes mit der Zeit. Also schwierige Momente. Wie eine große Mauer, die man nicht überwinden kann. Ein innerer Konflikt des Menschen mit der Zeit. Diesen Konflikt wollte ich zeigen.


Hier in Deutschland studierst Du Philosophie und Informatik. Wie bringst du diese Bereiche mit Fotografie zusammen?

Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt Fotografie zu studieren, sogar im Master anzufangen. Aber ich bin bereits Fotografin und Künstlerin. Was will ich mehr? Ich will etwas Neues und Anderes entdecken. Wir leben im digitalen Zeitalter. Aber was ist das genau? Ich hatte immer schon Interesse an Informatik wie an Philosophie. Deswegen habe ich mich für beides entschieden – und möchte beides miteinander verknüpfen.

"Im Rachen der Zeit."

Welche Botschaft haben Deine Bilder? Und von welchen Themen erzählt Deine Fotografie? Wen möchtest Du mit Deinen Bilder ansprechen?

Ich wollte mit meinen Bildern zuallererst widersprechen. Ich komme aus einem islamischen Land, aus einer Diktatur. Ich wollte persönliche, künstlerische und politische Freiheit durch meine Fotografie zeigen. Ich fotografiere nicht für bestimmte Gruppen. Die Sprache der Fotografie ist allgemein und weltweit verständlich – egal ob Deutsch oder Englisch, egal ob Analphabet oder ein großer Denker; alle können das sehen und verstehen.  


Kannst Du uns etwas zu dem Bild „Doa“ sagen?

Zu diesem Bild gibt es eine Geschichte von einer Jesidin und einem Muslim, die ineinander verliebt waren und zusammen sein wollten. Das war 2007. Aber ihre Familien waren dagegen. Sie haben versucht zu fliehen, es aber nicht geschafft. Und Doa wurde durch ihre Familie gesteinigt. Das war so eine Tragödie! Ich konnte das einfach nicht vergessen. So habe ich das Bild gemacht und "Doa – Mond und Nacht" genannt. Auf diesem Bild strahlt Doa heller und größer als der Mond. Ich denke, Doa ist wegen der Liebe gestorben. Und Liebe ist heller und größer als der Mond.

"Doa"

Interview: Julius Matuschik & Alireza Husseini
Bilder: Asrin Askendery