Der Schlafanzug
von Anna Breitenbach
Als er gegangen war, hatte sie das Bettzeug auf seiner Seite nicht abgezogen. Jede Nacht legte sie sich in seinem Schlafanzug in sein Bett, der letzte Schlafanzug, den er angehabt hatte. Und er roch immer noch nach ihm. Ein bisschen männlich, ein bisschen mufflig. Wenn er warm wurde, roch er noch stärker.
Wenn sie nachts mal zur Toilette ging, musste sie die Hosenbeine hochziehen, halten, um nicht zu fallen. Wenn sie dann wieder in sein Bett kroch, war es am besten, dann war die verschlafene Wärme, die noch unter der Decke war, seine und sie grub sich ganz in sie ein.
Sie machte die Tür auf und wusste schon, dass er es war. Keiner sonst klingelte so, als hätte es davor schon ein Klingeln gegeben, das sie überhört hatte. Sie hielt die Tür fest und er sagte: Ich wollte dir das Buch zurückgeben und meinen Schlaf-anzug holen, der muss noch bei dir sein. Weißt, der warme, der karierte.
Sie sagte: keine Ahnung. Aber bei mir ist er jedenfalls nicht. Nahm das Buch und machte die Tür zu.
Text: Anna Breitenbach wurde 1952 bei Bebra geboren. Sie ist Autorin, Poetin, Performerin: Die Wortwaschmaschine, Die kleine Volksdruckerei … Ständige Installationen: Die Gedichtekiste, in der Stadtbibliothek Stuttgart, Das Schaufenstergedicht im Alimentari da Loretta, Stuttgart. Paar Jahre Slampoetry, ein Poesiefilm: guerrilla gardening, Ausstellungen poetischer Objekte, Poetry to go: Postkarten, Kalender, Poster. Sie lebt in Esslingen und Elmo di Sorano/Italien
Foto: Michelle Bray
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