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„Menschenrechte - Eine Idee und ihre Umsetzung auf dem Prüfstand“

Ein Streitgespräch

Die Menschenrechtsaktivistin Prof. Dr. Nevedita Prasad und Autor Miltiadis Oulios diskutieren über die Umsetzung der Menschenrechte.

von Jürgen Castendyk

„70 Jahre Menschenrechte - Wir schauen genau hin“. Dieses Motto hat das Bündnis „Menschenrechte grenzenlos“ für dieses Jubiläum ausgewählt. Im Rahmen einer vielfältigen Reihe spannender Veranstaltungen fand das Streitgespräch am 23. November im Pavillon statt. Zur Einstimmung spielte und sang das Duo Zeynep Hayir und Bora Mehmetoglu internationale Protestlieder - bewegend. Auf der Bühne des Kleinen Saals begann dann das „Streitgespräch“ zwischen Frau Prof. Dr. Nivedita Prasad (Alice Salomon Hochschule Berlin) sowie dem Journalisten und Autor Miltiadis Oulios - per Du. Die Diskussion leitete Marcus Munzlinger vom Pavillon.

Nicht allein die Europäer haben die Menschenrechte erfunden

Zu Beginn des sogenannten Streitgespräches widersprach Prasad dem Vorurteil, allein die christlich geprägten Europäer hätten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (United Nations, UN) „erfunden“. „Das ist ein arroganter Eurozentrismus,“ sagte sie dazu. Schon in der Antike - und ab dem 12. Jahrhundert auch in der islamischen Welt - hätten Gelehrte sich Gedanken über Menschenrechte gemacht. Als Feministin müsse sie auch darauf hinweisen, dass die Witwe des amerikanischen Präsidenten, Eleanor Roosevelt, durch ihr unermüdliches Engagement die Abschlussverhandlungen zum Erfolg geführt hätte. Dass überhaupt Frauenrechte aufgenommen wurden, sei ebenso Roosevelts Verdienst.

Miltiadis Oulios, Marcus Munzlinger und Prof. Dr. Nivedita Prasad

 

Das Menschenrecht auf Asyl ist nicht einklagbar

Wie problematisch es aktuell um die Menschenrechte steht, machte Prasad anhand einiger Beispiele deutlich. Der Menschenrechtsrat der UN sei zuständig für die Einhaltung der Menschenrechte. Prasad kritisierte, obgleich der Sudan und Israel wegen schwerer Verletzungen der Menschenrechte vom Rat gerügt worden seien, gehörten sie dem Gremium weiterhin an. Um sich der Kritik des Rates über die verschärfte Einwanderungspolitik zu entziehen, seien die Vereinigten Staaten von Amerika in diesem Jahr aus dem Menschenrechtsrat der UN ausgetreten. Das Recht auf Asyl werde zwar nach Artikel 14 der Allgemeinen Menschenrechte anerkannt, gegenüber den Aufnahmestaaten gäbe es aber keinen Rechtsanspruch auf Schutz. Geflüchtete könnten in die Verfolgungsstaaten zurückgeschickt werden. Folglich seien Rechte nicht einklagbar. Deshalb würde das Asylrecht von vielen Staaten verletzt - auch von Deutschland. Im Sinne von Hannah Arendt forderte Prasad deshalb: „Wir brauchen ein Recht auf einklagbare Menschenrechte.“

"Ich kann mich auf die Menschenrechte nicht verlassen.“

Für Miltiadis Oulios sind Rechte abhängig von materiellen Grundlagen. Dazu gehört für ihn auch die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel. Fehle eine Kontrolle der Macht, werde die soziale Ungleichheit zwischen den Armen und den Reichen zu groß. Es komme zu Revolutionen. In der Folge seien demokratisch gestaltete Bürgerrechte entstanden - außer in Russland. Erst durch garantierte Bürgerrechte könnten Diskussionen über Menschenrechte erfolgreich geführt werden. Da sie aber von Staaten und nicht von Bürger*innen ausgehandelt worden seien, sind sie für Oulios „obsolet“. Für ihn gibt es steigende soziale Ungleichheiten zwischen den reichen Ländern im Norden und den armen Ländern des Südens. Sie würden durch die Menschenrechte nicht verringert, sondern im Gegenteil verstärkt. Als Beispiel verwies er auf die Textilindustrien in Asien. Sie produzierten Billigprodukte für den reichen Norden. Die unsozialen Arbeitsbedingungen verletzten die Menschenrechte. Das sei den entwickelten Industrieländern aber egal. „Deshalb kann ich mich auf die Menschenrechte nicht verlassen“, sagte Oulios. Die Abschottung des reichen Westens gegenüber Geflüchteten aus dem Süden sei ebenfalls eine Menschenrechtsverletzung.

Durch unaufhaltsame Migrationsbewegungen entstünden aber „Rechte des Faktischen“. Geflüchtete erhielten bei ihrer Einwanderung Rechte, die sie faktisch nicht genießen können. Politisch Verfolgte dürften nach der Genfer Flüchtlingskonvention der UN nicht abgeschoben werden. Dadurch könnten Bürgerbewegungen Menschenrechte einfordern, unter anderem das Menschenrecht auf gleiche Bildungschancen. Um Fluchtursachen zu beseitigen, könnten transnationale Bürgerbewegungen „moralischen und antikapitalistischen Druck von unten ausüben“, um Staaten im Süden zu veranlassen, soziale Missstände und Ausbeutungsverhältnisse abzuschaffen. Gleichzeitig sollten die Bewegungen aber auch ungerechte Handelsverträge des Nordens mit den armen Ländern des Südens anprangern. Dieses Bürgerhandeln sei wirkungsvoller als eine notwendige Reform der Menschenrechte anzustreben. Dafür gäbe es bei der UN keine Mehrheiten.

Aufgabe der Bürgerbewegungen: Menschenrechte verteidigen

Der Argumentation Oulios über die Wirkungslosigkeit der Menschenrechte konnte Prasad in vielen Bereichen zustimmen. Sie warnte aber vor radikalen Schlussfolgerungen. „Das sind keine Gründe, um die beschlossenen Menschenrechte abzuschaffen“, sagte sie eindringlich. Die UN bestünden aus Staaten. Bürgerbewegungen könnten und müssten Druck auf die Regierungen ausüben. Eine notwendige Reform der Menschenrechte könnten aber nur die Nationalstaaten beschließen. Prasad sprach sich gegen eine Idealisierung von Bürgerbewegungen. Es gäbe vermehrt auch nationalistische Bewegungen. Sie wollten die die Rechte auf Asyl abschaffen oder die Rechte von Geflüchteten im Aufnahmeland einschränken.

Ein Streit ohne Konsens?

Doch, es gab einen Konsens. Der betraf die Zukunft der Menschenrechte. Beide Diskutant*innen waren sich einig: Notwendig sei ein Weltbürgerrecht mit erweiterten Menschenrechten - einschließlich des uneingeschränkten Rechtes auf Migration. Die müssten aber von einem demokratisch gewählten Weltparlament beschlossen werden. In der Zwischenzeit plädierte Oulios: „Mit unseren Bürgerrechten müssen wir die Menschenrechte verteidigen.“ Transnationale Bürgerrechtsbewegungen könnten dazu beitragen, ein gerechtes Weltbewusstsein zu schaffen. In der Diskussion mit dem Publikum kamen hingegen keine Fragen zur globalen Durchsetzung der Menschenrechte zur Sprache. Es ging um soziale Probleme wie: Hartz IV, Wohnungsnot der Obdachlosen und ungerechte Beschäftigungsverhältnisse.

Der Artikel ist ein Gastbeitrag von Welt in Hannover, erschienen auf Welt in Hannover am 03.12.2018


Fotos: Dimitrij Czepurnyi