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Diyar - Heimat

Die meisten jungen Iraner*innen wollen weg, die Fotografin Shirin Abedi hingegen drehte den Spieß um und zog für ein Jahr in ihre Geburtsstadt Teheran. Dort machte sie sich auf die Suche nach Diyar, ihrer Heimat.

 

Shirin, wie ist es zu der Serie "Diyar" gekommen?

Als ich in den Iran gereist bin, wurde ich häufig gefragt, warum ich denn überhaupt zurückkomme, dorthin, wo die Wurzeln meiner Familie liegen, obwohl alle weg wollen. Die Serie ist meine persönliche Auseinandersetzung mit dieser Frage. Und auch damit, warum der Iran kein Ort ist, an den man zurückkehrt. Über diese Frage, wo denn Zuhause liegt, habe ich mit vielen Menschen im Iran gesprochen: Wie stehst du zum Iran? Kannst du dir vorstellen, hier alt zu werden? Oft kam die Antwort: Nein, ich möchte hier weg. Ich wollte für mich reflektieren, was denn überhaupt mein Land ist. Ob ich dort zurechtkomme. Ob ich dort leben möchte – oder nicht.



Du warst für längere Zeit im Iran und hast für dich das Land und einen Teil deiner Familie entdecken können. Wie war das für dich?

Es war wie eine Art „Rück-Integration“, die mit sehr vielen Ängsten verbunden war. Am Anfang war ich eine Touristin und konnte erst nach einem halben Jahr sagen, dass ich Teil der Gesellschaft bin. Irgendwann wusste ich, wie ich mich bewegen kann, ohne dass ich immer darauf angesprochen werde, dass ich nicht von „hier“ bin. Gleichzeitig musste ich sehr kämpfen, weil ich mit meiner deutschen Art und Weise angeeckt bin. Ich musste immer wieder etablieren, dass es okay ist, zu sein wie ich bin, und mein Umfeld an Kleinigkeiten gewöhnen. Mein Opa fand es zum Beispiel schlimm, dass ich einen Nasenring trage, mit einer Kamera durch die Gegend laufe oder einen Rucksack trage. Das war ein großer Kraftaufwand. Gleichzeitig habe ich viel Schönes im Laufe der Zeit zurückbekommen. Ich habe gelernt, dass man einfach durch die gemeinsame Zeit mit den Menschen im Iran integriert wird.

 

 



Was hat diese Erfahrung rückblickend mit dir gemacht?

Beispielsweise habe ich keine Angst mehr, wenn ich die iranische Polizei sehe. Und ich spreche definitiv besser persisch. Ich denke, ich betrachte den Iran jetzt reflektierter. Früher war ich da sehr idealistisch. Jetzt kenne ich auch die Unterdrückung, diese ganzen Regeln, die erstellt wurden um zu kontrollieren. Beispielsweise werden Social Media Kanäle gefiltert. Wenn man so was miterlebt, merkt man wie scheiße das eigentlich ist. Ich konnte [in Deutschland] eine gute Ausbildung genießen und ich finde, ich habe deshalb die Verantwortung, im Iran Dinge zu verändern und etwas beizutragen. Durch meine Reise habe ich eine emotionale Verbindung zu den Menschen und lasse sie nicht im Stich.



War es für diese Entdeckungsreise wichtig für dich, die Kamera dabei zu haben?

Man kommt dem Gesamten nicht nahe genug, fühlt den Struggle nicht, hat keine Gefühle, die das Herz berühren, wenn man immer nur aus der Distanz arbeitet. Ich wollte also alles erst einmal selbst erleben, am eigenen Leib. Die Kamera wäre wieder die Position der Shirin gewesen, die fotografiert, aus der Distanz. Erst nach einem halben Jahr habe ich angefangen zu fotografieren, was dann viel besser funktioniert hat, weil ich nicht mehr Touri war. Alles, was ich die letzten Jahre vor dieser Reise im Iran fotografiert habe, war eher touristische Fotografie. Erst als ich das Gefühl hatte, angekommen zu sein, habe ich auch gerne fotografiert.



Hat denn diese Reise auch dich als Fotografin verändert oder geprägt?

Die eigene Persönlichkeit zu finden – das war meine Challenge. Wer bin ich? Wie bin ich noch ich selbst? Und wie passe ich mich dem Ganzen an? Es ist nämlich so: Zum einen ist man Fotografin, zum anderen ist man Frau. Schon allein das Frausein war eine Hürde – und dann auch noch fotografieren? Ich hatte das Glück, dass ich einen Presseausweis bekam. Irgendwann fühlte ich mich damit zwar sicherer, kam aber trotzdem oft in brenzlige Situationen. Was sich für mich verändert hat, ist in solchen Momenten den Mut zu haben, trotzdem zu fotografieren. Obwohl Deutschland mich diesbezüglich wieder eher ängstlicher gemacht hat. Man muss ständig nach dem Einverständnis fragen, um ein Foto machen zu dürfen. Im Iran habe ich das einfach gemacht. Ich war freier im Fotografieren, weil die Menschen lockerer sind. Es war einfacher, ihr Vertrauen zu gewinnen. Trotzdem empfand ich es als sehr schwierig im Iran als Frau zu arbeiten. Mir wurde oft so etwas gesagt wie: „Du bist eine Frau, du kannst hier Nichts sein. Du kannst jetzt nicht hier stehen, über dem Grab und das Bild machen.“ Oder man wird von anderen Frauen angemotzt, warum man Blümchen auf dem Mantel hat oder dass das Kopftuch verrutscht ist.

 


Was bedeutet Heimat für dich? Hat sich das verändert seit du diese Erlebnisse gemacht hast?

Als ich zurückkam, fühlte es sich an, als wäre ich neu ausgewandert und ich müsste mich in Hannover wieder neu orientieren. Ich fand es sehr öde und langweilig in Deutschland. Es fühlte sich zu Beginn an, als ob ich eine Teheranerin wäre, die beschlossen hat, zum Studium ins Ausland zu gehen. Da war dann Teheran meine Heimat. Das wandelt sich aber gerade wieder. Im Iran bin ich irgendwie doch immer die Ausländerin gewesen. Hier bin ich die schwarzhaarige Migrantin. Egal was passiert, fragen mich die Leute, wo ich eigentlich herkomme. Ich kann sagen, Heimat ist da, wo meine Familie ist. Und die ist eben gerade in Hannover. Trotzdem ist der Iran auch irgendwie Heimat. Ich hab also zwei Herzen im gleichen Körper.



Was macht das mit dir? Immer diese Frage, woher man kommt?

Manchmal ist es ziemlich cool, weil ich das Gefühl habe, dass ich überall hingehöre und überall hingehen kann. Denn man findet schnell Anschluss an neue Leute. Ein Teil meiner Identität passt immer in so eine Art Puzzle. Wenn ich mit
Muslimen zu tun habe, profitiere ich von meinem Wissen über den Islam. Wenn ich mit Iranern, Türken, Kurden, Menschen aus dem Nahen Osten oder eigentlich jedwedem Migranten in Deutschland Kontakt habe, werde ich herzlich aufgenommen. In Amerika bin ich dann die Europäerin. Das finde ich wirklich ganz schön. Aber es ist immer Melancholie mit dabei. Die Vorstellung, dass ich irgendwann verschwinde und mich auflöse, weil ich nirgends richtig dazugehöre.

 

 

Infobox: Shirins Vater kam in den 80er-Jahren nach Deutschland, um zu studieren. Ihre Mutter tat es ihm später gleich und kam nach. Nach dem Studium zog es die Familie zurück in den Iran, wo sie zunächst zehn Jahre lang blieben. In dieser Zeit wurde Shirin in Teheran geboren. Als Shirin sieben Jahre alt war, zog die Familie aufgrund einer Promotionsstelle des Vaters nach Hannover. Geplant war eigentlich nur für die Dauer der Promotion zu bleiben. Doch irgendwann entschied sich die Familie, in Deutschland sesshaft zu werden.
 

 


Fotos: Shirin Abedi | Interview: Julius Matuschik | Bildunterschriften: Shirin Abedi