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Liv Strömquist: "Der Ursprung der Liebe", Avant-Verlag, Februar 2018, 136 Seiten, Softcover

Endlich! Anders kann man es nicht sagen. Mal im Ernst. Schließlich haben sich so viele Fans der Serie Sex and the City doch gefragt, warum die gebildete, witzige, reflektierte, eigenständige, unabhängige, energiegeladene Carrie „diesen riesigen, emotional unzulänglichen Typen [„Big“] heiraten“ will. Auf diese und viele weitere mystische Liebesfragen erhalten wir in Liv Strömquists „Der Ursprung der Liebe“ eine Antwort – oder zumindest die Hintergrundinfos, warum manches in Sachen Liebe so kompliziert und bescheuert und irgendwie auch von Gestern ist. Damit ist der bereits 2018 erschienene Comicband ein Evergreen.

Mein Favorit ist der Comic: „Gry weiss, wo die Grenze ist“. Strömquist dröselt darin auf, wie sich der Bullshit von „sexuelle[m] Eigentumsrecht des Mannes über die Frau“ verändert hat und wie die Einführung der Liebesheirat dieses „Recht“ als Teil der Liebe eingliederte. Volià, das Ende vom Lied ist eine gesellschaftliche Prüderie, die aus der Anbetung einer Furchtbarkeitsgöttin die Anbetung einer Jungfrau (mit Kind) macht. Außerdem erklärt der Comic den historischen Kontext hinter dem irrsinnigen Gedanken der in der Gesellschaft herumflattert, dass Frauen* beim ersten Date nicht mit dem Typ* ins Bett steigen sollten, wenn sie auf eine ernsthafte Beziehung aus sind (Ich sag nur: Lass krachen, Schwester!). Ganz einfach weil im Jahrhundert von Korsagen und Reifrockkleidern „das Patriarchat also eine Situation [erschuf], die vor allem die Frauen dazu zwang, die kulturelle Prüderie voranzutreiben: Indem sie ihre eigene Sexualität unterdrückten, erhielten sie Zugang zu den ökonomischen Ressourcen der Gesellschaft.“ Für mehr Details, Fußnoten und Literaturangaben bitte Blick in diesen nicen Comic.

Auf dem Cover von „Ursprung der Liebe“ findet sich eine Anspielung auf Sandro Botticellis „La nascita di Venere“; doch statt der Göttin der Liebe und Schönheit findet man Strömquist im quietschpinken Kleid, auf Schwan zwischen Blumen mit Charly Sheen-, Lady D- und Prince Charles-Gesicht treiben. Und nicht nur das Cover, auch der Inhalt knüpft an den Witz und den Informationsgehalt des Debüts „Ursprung der Welt“ an. Ein Comic, den die moderne Liebe gebraucht hat!

Liv Strömquist "Ich fühl’s nicht", Avant-Verlag, März 2020, 176 Seiten, Softcover, 18 x 25 cm, vierfarbig

Ob Papaschlumpf oder Leonardi DiCapbrio – in ihrem aktuellen Titel spricht Liv Strömquist über die Männer* meiner Kindheit. Allerdings anders als ihr jetzt vielleicht denkt. Denn die Journalistin nimmt, nennen wir es die auffälligen Beziehungen beider Männer* zu Frauen*, vor dem Hintergrund des Spätkapitalismus auseinander. Dahinter steckt natürlich ein tieferer Gedanke wie man es von Liv Strömquist gewohnt ist. In vier Comics hält die Schwedin Süßholzgeraspel, der großen Frage, wer wann mit wem schläft und dem romantischen Happy End den Spiegel vor und ruft/fordert/fragt nach einer freien Liebe fernab der Zwänge einer Konsumgesellschaft, die Gefühle bewertet und gegeneinander aufwiegt (so nach dem Motto: wenn du mich nicht mehr liebst, liebe ich dich doppelt nicht mehr.)

Das von Katharina Erben ins Deutsche übersetze Buch startet im längsten Comic mit der These verschiedener Soziolog*innen, dass das Gefühl des Verliebtseins in der gegenwärtigen Gesellschaft außergewöhnlicher geworden sei. Warum das so ist, was der Bösewicht Kapitalismus damit zu tun hat und was genau sich hinter diesem Gedanken verbirgt, bebildert Strömquist in den folgenden Kapiteln: 1. Das Verschwinden des „Anderen“, 2. Die Konjunktur der Rationalen Wahl, 3. Die Neudefinition von männlichem Erfolg, 4. Die Entzauberung der Welt und 5. Superschlecht sterben können. Aber keine Sorge, liebe Titanic-Fans – um die verschiedenen soziologischen Standpunkte zu veranschaulichen muss nicht nur „Jack“ herhalten, sondern zum Beispiel auch Erich Fromm, Lionel Durand und Slavoj Žižek.

Genauso spannend, emotional ernüchternd und wissenschaftlich geht es in den nächsten Comics weiter. Als Leser*innen gehen wir auf große Fahrt (bester Kapitelname: „Theseus Gesicht oder Ich habe dich einfach auf einer einsamen Insel ausgesetzt, als wärest du ein wertloses Stück Treibholz.“) mit einem griechischen König, überdenken vielleicht nochmal die ein oder anderen Lyrics von Beyoncé und bekommen einen Eindruck davon, warum so viele Menschen ständig auf Wanderschaft, aber niemals zu Hause sind (zu Hause ist gleich a loved person or any kind of realtionship in which you feel love).

Der typisch ironische Strömquist-Humor lockert dabei nicht nur traurige Verflechtungen, Liebeskummer und die unkontrollierbaren Sprünge des Herzens auf; denn wie immer arbeitet die Journalistin mit handfestem Material aus dem Hause der Denker*innen, sprich Forscher*innen. Somit ist die Lektüre von „Ich fühl’s nicht“ nicht nur ein unterhaltsames Plädoyer, gesellschaftliche Verhaltensweisen in Bezug auf Liebe, Beziehung und Monogamie mit einem mitleidigen, aber auch schmerzhaften Lächeln auf den Kapitalismus zu hinterfragen – sondern auch eine Art Literaturliste für alle, die danach noch tiefer in die Sache einsteigen wollen.



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