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Grenzenlose Identität

Tariq Alsaadi studierte Bildende Kunst in Damaskus (Syrien). Nach Ausbruch des Kriegs floh er nach Deutschland, wo er heute Design studiert. Wir haben mit ihm über seine Arbeit, Identität, Geschlechterrollen und Schönheitsideale gesprochen.

 

 

Tariq, wie bist du zur künstlerischen Arbeit gekommen?

Schon als kleines Kind wollte ich immer zeichnen. Ich weiß nicht: Wie kann ich das erklären? Ich denke, ich bin einer dieser Menschen, die die Welt irgendwie anders sehen. Meine Eltern haben das früh bemerkt und haben mich motiviert, daran zu arbeiten. So ist mein Interesse für Kunst gewachsen, bis ich dann nach dem Abitur entschieden habe, Bildende Kunst zu studieren. Meine Kunst ist für mich ein Ausdrucksmittel: Selbst in meiner Muttersprache könnte ich mit sprachlichen Mitteln nicht festhalten, was mich beschäftigt. Natürlich interessieren mich viele Themen im Leben und mit der Kunst kann ich meine Meinung dazu ausdrücken.


Ist es für dich persönlich wichtig, dich und was dich beschäftigt, mit deiner Kunst zu reflektieren? Oder ist es dir wichtig, anderen Menschen zu zeigen, was du denkst oder fühlst?

Es ist beides total wichtig für mich! Ich möchte mit meiner Arbeit auch Botschaften vermitteln. Ich möchte, dass die Betrachter etwas bekommen, dass sie auch über sich selbst nachdenken. Ich denke, es geht vielen so, dass man Gedanken oder Gefühle hat, die man nicht ausdrücken kann. Ich habe es oft erlebt, dass jemand durch meine Bilder etwas gesehen hat, das er nicht aussprechen konnte, aber ähnlich denkt oder fühlt. Ich bekomme oft das Feedback, dass meine Arbeiten bei den Menschen etwas ausgelöst haben. Das ist auch ein Ziel für mich.


Worum geht es in deiner Serie, die du hier auf upgration und aktuell in deiner Ausstellung im Andersraum Hannover zeigst?

Es geht vor allem um Geschlechterrollen. Wie bin ich dazu gekommen? Das ist eine lange Geschichte. Ich war in einem Spielzeugladen, habe mich umgesehen und fand nur Spiele entweder für Jungen oder für Mädchen. Für mich ist das seltsam, warum gibt es für Mädchen nur Spiele, die mit Dingen wie Kochen oder Make-up zu tun haben und für Jungs beispielsweise mit Autos? Das zeigte mir, dass die Gesellschaft Kinder schon früh beeinflusst. Aber was ist, wenn das nicht zu einem passt? Ich hab mit Puppen gespielt, als ich ein Kind war. Ich fand das interessanter und kannte Mädchen, die mit Autos gespielt haben. Ich finde es skurril, wie die Wirtschaft diese Geschlechterrollen strikt trennt, für mich passt das einfach nicht ins 21. Jahrhundert. Wir sind doch gesellschaftlich viel weiter! Es ist aber nicht nur bei Spielzeug so, bei Erwachsenen ist es genauso: Es gibt Produkte für Männer oder für Frauen. Es gibt aber so viel mehr als diese beiden Geschlechter. Es gibt Menschen, die sich schminken und gerne Blumen tragen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die gerne LKW fahren. Es gibt aber auch Menschen, die sich schminken und gleichzeitig LKW fahren.


Wenn man sich deine Serie anschaut, kommt man auch auf das Thema Schönheitsideale.

Wenn man sich Magazincover anschaut, sieht man nur perfekte Menschen: Beispielsweise müssen Frauen sich an bestimmten Stellen die Haare rasieren, alle Männer müssen männlich sein und so weiter ... Warum muss es dafür „Regeln“ geben und wer hat diese „Regeln“ festgelegt? Diese typischen Bilder im Kopf werden durch die Wirtschaft verstärkt und wiederholt. Wenn ein Mann Muskeln hat, gilt er als schön, wenn nicht dann nicht. Wenn eine Frau schmal ist, ist sie schön, wenn sie dick ist wiederum nicht. Ich finde aber ALLE Menschen sind schön - und zwar jeder für sich, so wie er ist.


Wie kann eine Gesellschaft das besser machen?

Eigentlich müsste man schon im Kindergarten damit anfangen, genau diese Bilder zu hinterfragen, Menschen mit den verschiedensten Formen zu zeigen, zu vermitteln, und Menschen ernst zu nehmen wie sie sind. Aber auch in den Medien sollte darauf geachtet werden, alle Menschen zu repräsentieren, mit allen Farben, Formen und Geschlechtern. Aber es wird lange Zeit brauchen bis sich das ändert.


Wenn man sich deine Bilder anschaut und dich so sprechen hört, bekommt man das Gefühl, dass die Freiheit der Menschen und die freie Entfaltung einer persönlichen Identität besonders wichtige Themen für dich sind.

Natürlich! Jeder Mensch braucht Freiheit, ich brauche Freiheit. Jedes der Bilder hat auch was von mir. Ich hab jetzt keine Angst mehr, meine Identität auszudrücken. Diese Angst möchte ich auch anderen nehmen. Ich möchte mich auf der Straße frei fühlen können, mich nicht verstecken müssen, hinter irgendwelchen Masken, die nicht zu mir gehören. Wir sind mehr als nur Frau und Mann, wir sind freie Menschen, die ihre Identität ausdrücken, wie sie wollen. Wir sind alle hübsch, wie wir sind, in allen Farben, Formen, Größen und Geschlechtern. Keine Grenzen dürfen unsere Identität und Schönheit beschränken.

 

 

Infobox: Im Andersraum Hannover sind aktuell alle Arbeiten der hier präsentierten Serie ausgestellt. Die Finnissage findet am 09. Dezember 2018 ab 17 Uhr statt. 

 


Illustrationen: Tariq Alsaadi  Interview: Julius Matuschik